TAS ist der vierte und letzte Band der Po-Ca-Hon-Tas Quadrologie, in der Klaus Theweleit den kulturgeschichtlichen und soziologischen Quellen, Wirkungen und Querverbindungen der mythologisierten Geschichte rund um die amerikanische native princess Pocahontas nachspürt. Wobei: Vierter Band stimmt zwar irgendwie, aber dann auch irgendwie nicht, denn die Erscheinungsreihenfolge der vier Bände ist konfus: 1 (1999) – 4 (1999) – 2 (2013) – 3 (2020). Eigentlich ist steht dieser Band also eher am Anfang seiner Betrachtung des Pocahontas-Komplexes, besonders wenn man bedenkt, dass der erste Band im Wesentlichen der Etablierung der historischen Fakten dient.

Im Gegensatz zu den Bänden 1 bis 3 ist Band 4 weniger ein kulturgeschichtlicher Rundumschlag mit Ausflügen nach überall, sondern ein (für Theweleits Verhältnisse) erstaunlich straff organisiertes und gegliedertes Buch, das sich primär an Arno Schmidts Werk Seelandschaft mit Pocahontas abarbeitet, auf einer zweiten Ebene auch an der bundesrepublikanischen Rezeption, die er für überwiegend fehlgeleitet, verklemmt, blind hält. Da mag er nicht ganz falsch liegen, immerhin schreibt Schmidt mit einem spitzen Unterton gegen die Kirche und mit Obertönen des Sexuellen. Zwei Tonarten, die in der BRD der 50er und 60erjahre eigentlich Tabu waren.

Theweleit selber schreibt ja im Modus des Hypertext – alles ist mit allem verlinkt, also verknüpft. Er kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen und zieht die entferntesten, zuweilen auch abwegigen Vergleiche. Im Schriftbild äußert sich das durch den legendären Apparat an Fuß- und (!) Endnoten, die zuweilen mehr Text als der eigentliche Haupttext beinhalten. Für ein so endnotenschweres Werk ist übrigens der Text zu eng an den Bund herangedruckt; wenn man beim Lesen eigentlich immer einen Finger im Buch haben muss, um sowohl Text- als auch Endnoten im Zugriff zu haben, kann man nicht bis in die Bindung hineinlesen, sondern braucht da ein wenig Luft.

Die Bezüge, die Theweleit herstellt, sind wie gesagt manchmal sehr verwegen. Dass Selma, einer der Haupcharaktere in Schmidts Roman, von ihrem Liebhaber Joachim den Spitznamen Pocahontas erhält, ist ein schon mehr als offensichtlicher Verweis auf die gleichnamige Legende und der berechtigte Grund, den Roman in diesem Zusammenhang zu beleuchten. Dass Theweleit hier aber auch eine Verbung zu Klopstock sieht, weil der Name Selma als Erfindung Klopstocks gelte ...nunja. Wikipedia sieht das anders, aber natürlich kann Wikipedia auch irren und hat sicher weniger Lebensweisheit als Klaus Theweleit. Theweleit führt weitere Argumente an, nämlich: Pocahontas rettet in Amerika den Siedler John Smith vor den Natives und ihren Holzkeulen, den wooden clubs, oder halt den Klop-Stocks. Außerdem errege Selma in ihres Liebhabers Hosen einen Klop-Stock ganz anderer Art, auch das eine bewusste Anspielung. Sagt Theweleit. Schließlich enthalte der erste Band von Schmidts privater Klopstock-Ausgabe eine Verlagsnotiz zur Ode von Selma und Selmar, die in einem anderen Band enthalten sei.

Für mich sind das alles gute Argumente, wie Schmidt von Klopstock zu Selma gekommen sein könnte, aber der umgekehrte Weg ist damit nicht gangbar. Und da ist natürlich die Frage, was man bei der Rezeption von Schmidts Werk eigentlich möchte: Nimmt man das Werk so, wie es halt ist, und möchte wissen, was in Schmidts Kopf vorgegangen ist, dass das Endergebnis genau diese gegebene Form hat? Möchte man also das Werk nur als Schlüssel zu Schmidts Gedankenwelt verwenden? Dann in der Tat hat Theweleits Vorgehen seine Berechtigung, und die resultierenden Erkenntnisse sind in der Tat spannend. Man könnte aber auch das Werk in den Mittelpunkt stellen und Schmidts Vorstellungen als Schlüssel zu den im Werk selbst enthaltenen Aussagen und Gedanken nutzen. Das wäre für naive Leser:innen von Schmidt vielleicht der etwas fairere Ansatz; und dann sind Theweleits Klopstockereien unangemessen abschweifend und vage.

Wie dem auch sei: Im Gegensatz zu den übrigen Bänden ist dieser Abschlussband der Pocahontas-Reihe sehr speziell und eigentlich nur etwas für Leser:innen der Seelandschaft mit Pocahontas. Ich habe den Roman nicht gelesen, daher enthalte ich mich eines Urteils über Theweleits Sekundärwerk.