Wer Deutschland lieb haben möchte, kann im Flüchtlingssommer von 2015 das wahre deutsche Sommermärchen sehen. Einmal hat die Kanzlerin das gemacht, was möglicherweise eine pragmatische Notwendigkeit, aber eben auch das moralisch Richtige war: Flüchtende Menschen in Not einfach ins Land gelassen, vielleicht sogar ohne rechtliche Verpflichtung dazu. Und das erstaunlichste: Öffentlichkeit und öffentliche Meinung bis hin zur Bildzeitung folgten ihr auf diesem Kurs. Einen Sommer lang konnte man sich an einem Deutschland mit menschlichem Antlitz ergötzen.

Diese Zeiten sind längst vorbei, und es ist nicht nur die erstarkte afd, die gegen Flüchtlinge und Merkel hetzt, sondern auch Öffentlichkeit, Bildzeitung und selbst ihre eigene CDU finden schon lange nicht mehr gut, was damals Gutes geschehen ist.

 

Zeit also, sich mit denen zu befassen, um die es in der Flüchtlingsdebatte eigentlich gehen sollte: Nein, nicht Merkel und die CDU, und auch nicht Seehofer und die CSU, sondern die Flüchtlinge. Natürlich mag es unter ihnen so genannte Wirtschaftsflüchtlinge geben, die nicht unmittelbar politisch verfolgt werden. Aber wer sich einmal ein wenig über die Gefahren, Unannehmlichkeiten, und – vielleicht der deutschen Seele näher liegend – die finanziellen Kosten einer Überfahrt nach Europa informiert, muss unweigerlich zum Schluss kommen: Das alles nimmt man nicht einfach so zum Spaß auf sich. Alles, was man hat, seien es Erbstücke, Andenken, materielle Güter, Freundschaften oder Familienbande, zurückzulassen, sich über Monate Schleppern und Kriminellen auszuliefern, weil sie immer noch mehr Sicherheit als staatliche Verfolger geben können, das setzt schon einen gehörigen Leidensdruck voraus. Wer das alles auf sich nimmt, dessen Asylgesuch mag juristisch aussichtslos sein, aber seine persönliche Notlage kann als bewiesen gelten.

Um diese schlichte Erkenntnis auch den mit Empathie Minderbemittelten zu ermöglichen, kann es zuweilen hilfreich sein, sie mit Einzelschicksalen von Geflüchteten vertraut zu machen. Natürlich ist die Auswahl der drei in »Der Kälteste Sommer« zeichnerisch aufgearbeiteten Fluchtgeschichte höchst subjektiv und erlaubt keinerlei Rückschlüsse auf das Phänomen als solches. Die Geschichten erlauben aber möglicherweise einen empathischen Zugang, der unumstrittene Fakten in einem anderen Licht erscheinen lässt, und sei es nur die Erinnerung daran, dass es um Menschen geht.

Herausgeberin ist das griechische Büro der Rosa-Luxemburg Stiftung. Die steht der Linken nahe, die ihrerseits auch nicht frei von antimigrantischen Strömungen ist. Aber immerhin: Sie hat sich noch nicht so konsequent gegen Merkels Flüchtlingspolitik gestellt wie die CDU und Merkel selber. Und sie veröffentlicht und verbreitet den »Kälteste[n] Sommer«, was in jedem Fall ein gutes Werk ist.