Herr Spitzer hat ein unsägliches Buch über die Digitalisierung geschrieben, in dem er genau das, was er der Digitalisierung, insbesondere den digitalen Medien vorwirft, selber reproduziert – wenn auch auf Papier statt in Bits und Bytes (Digitale Demenz, auch erhältlich als E-Book und Hörbuch). Verflachung, Übersimplifizierung, Sensationalismus etc: Genau das betreibt er aufs allerfeinste und richtet damit mehr Schaden als Nutzen an.

Ein erheblich schmaleres Bändlein legt Alexander Markowetz vor: Digitaler Burnout ist kürzer, im Untertitel weniger auf Weltuntergang gemünzt ("Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist" im Vergleich zu "Wie wir unsere Kinder um den Verstand bringen") und versucht auch weniger wissenschaftlich zu klingen. In Wahrheit ist es aber gerade dieser geringere Anspruch, durch den das Werk an auch wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit und Relevanz gewinnt.

 

Markowetz bezieht sich zunächst wesentlich auf eine Untersuchung, bei der mittels einer freiwillig von Interessierten eingestzten Smartphone-App ermittelt wurde, wie häufig wir unser Handy nutzen: Im Schnitt ungefähr aller 15 Minuten. Der Autor diskutiert leider nicht den Umstand, dass es sich bei denjenigen, die eine solche App freiwillig installieren (von ihrer Existenz überhaupt erst erfahren) wohl eher um so genannte Poweruser handelt, das Ergebnis also zum Glück nicht ganz repräsentativ sein dürfte. An allen anderen Dreh- und Angelpunkten seines Gedankengangs ist er aber angenehm vorsichtig und betont immer wieder, dass belastbare Informationen und Erhebungen schon deshalb fehlen, weil es Smartphones erst seit kurzem gibt und die Entwicklung immer noch nicht zur Ruhe, geschweige denn zum Stillstand gekommen ist.

Eine zweite Basis ist die Flow-Theorie des Ungarn Mihály Csíkszentmihályi (ja, den Namen habe ich gecopied-and-pasted). Mit dem Flow meintCsíkszentmihályi einen Zustand der Selbstvergessenheit, in dem wir uns hochkonzentriert und motiviert einer spezifischen Aufgabe widmen. Produktiv und erfolgreich können wir in anspruchsvollen geistigen Tätigkeiten nur im Flow sein. Allerdings brauchen wir eine gewisse Zeit, um uns an den Flow heranzuarbeiten – wie das Leben so spielt, ziemlich genau die 15 Minuten, nach denen statistisch der nächste Blick aufs Handy ansteht und der Anlauf zum Flow unterbrochen, das Flow-Erlebnis somit (zunächst) verhindert ist. Diese Beobachtung deckt sich ziemlich genau mit alltäglichen Erlebnissen, die auch Markowetz anspricht: Die zunehmende Fragmentierung unseres Alltags in immer kleinere frei nutzbare Zeithäppchen schadet unserer Konzentration und damit unserer Produktivität. Immer wieder poppt am Computer ein Fenster auf, machen Smartphone und Tablet Geräusche oder verspüren wir selber den Drang, kurz Facebook, Mails, o.ä. zu checken. Die dazwischen verbleibenden "Pausen" (also eigentlich: die Arbeitszeit) reichen für ernsthaftes Arbeiten kaum mehr aus.

Ein letzter Aspekt ist für Markowetz das Verschwinden der Muße: Immer seltener haben wir Gelegenheit, nichts zu tun, bzw. zu grübeln und so die im Kopf herumschwirrenden, halbverdauten Eindrücke und Gedanken zu verarbeiten, mit bereits konsolodiertem Wissen und Vermuten zu Verknüpfen und damit unseren Erfahrungs- und Wissensschatz zu bereichern. Stattdessen wird eigentlich immer ein Handy mitgeführt, auf dem gespielt, gechattet, gelesen, musikgehört wird – alles Beschäftigungen, also Muße-Verhinderer.

Aaaaber, möchte ich jetzt natürlich einwenden: Das alles ist nicht neu. Ich setze mich in keine Bahn und erst recht in keine Behörde, auch stelle ich mich nicht in eine lange Supermarktschlange ohne ein buch oder eine Zeitschrift dabeizuhaben. Ich habe mir absehbare Momente der Langeweile (das ist ja eigentlich nur der zweite Vorname der Muße) immer schon durch Lesen vertrieben. Die Zeiten, in denen Lesen verteufelt wurde, sind lange vorbei, heute würde dieses Vertreiben der Muße sicher als erfreulicher Akt der Bildung begrüßt.

Auch über die Fragmentierung des Alltags kann ich seit der Geburt meines Sohnes ganz anders mitreden: Kein Computer, Handy, Tablet o.ä. verlangt so häufig, dabei aber auch in so unvorhersehbaren Abständen nach Aufmerksamkeit wie ein Baby.

So wahr diese Einwände sicher sind: sie verfangen schon deshalb nicht, weil Markowetz im Gegensatz zu Spitzer eben kein digitales Weltuntergangsszenario malt und sich auch einer simplen Dichotomie – hier die gute, analoge Welt und dort das Böse, Digitale – verweigert. Flow-Verhinderer hat es immer schon gegeben. Durch das Aufkommen von PC und. mehr noch, Smartphones hat sich das Problem drastisch verschärft. Und andererseits: Markowetz verneint nicht, dass heute weder Arbeitsalltag noch soziale Bedürfnisse ohne digitale Medien erfolgreich bewältigt werden können. Er plädiert daher auch nicht für eine Totalabschaffung von Smartphone & Co.

Hier allerdings liegt der einzige etwas wunde Punkt seines Buches: Es kann uns auf die Gefahren der digitalen Medien aufmerksam machen (das ist einfach und mit dem Untertitel bereits abgehakt), es kann uns die Gefahren plausibel begründen (das ist fast nicht erforderlich, weil wir sie ohnehin intuitiv erspüren). Es kann aber keine einfachen Lösungen anbieten. Im Grunde empfiehlt er kontrollierten Konsum, also das öfter-mal-Ausschalten oder -Ignorieren des Handys. Dabei können Apps und Einstellungen und Geräte manchmal helfen, die Hauptarbeit müssen aber die NutzerInnen leisten, indem sie sich in regelmäßigem, aber nicht radikalen Verzicht üben.

Und das ist, wie sich jedem Drogenratgeber entnehmen lässt, noch erheblich schwieriger einzuhalten als der kalte Entzug.