Sprache ist ein mächtiges Werkzeug. Von der naiven Vorstellung, ein*e Sender*in verpacke Bedeutung in Worte wie eine Amazon-Bestellung in Kartons, die dann zu dem*der Empfängerin transportiert und (hoffentlich unbeschädigt) ausgepackt werden, hat man sich schon lange verabschiedet. Sprache transportiert mehr als nur die intendierte Bedeutung, und am entfernten Ende der Kommunikation kommt eventuell etwas an, dass die Empfänger*in nicht bestellt und die Sprecher*in auch nicht verschickt hat.

Sibylle Berg ist Schriftstellerin und weiß, was sie tut. In GRM – Brainfuck nimmt sie uns mit in die Leben einer Jugendbande in der dystopischen Zukunft eines auf den Hund gekommenen Englands. Die Jugendlichen sind durch Eltern, das Schicksal, aber ganz besonders durch die gesellschaftlichen Verhältnisse nachhaltig geschädigt und natürlich ungeheuer zornig und wütend. »Don war — Aufgebracht«. »Sie war klein und wütend. Dons Wut war so präsent, dass sie nicht sagen würde ›Mann, was bin ich wütend heute.‹ Sie kannte keinen anderen Zustand. Sie war wütend seit ihrer Geburt. ... Sie hasste die Welt, in der sie leben musste. ... Sie hasste diese Welt« (alles S. 13). OK ist gut, wir haben verstanden. Aber nein: So geht es weiter. Und nicht nur für Don, sondern auch für ihre Freund*innen und praktisch alle anderen Charaktere im Roman. Falls das noch nicht ausreicht: Berg bedient sich überaus drastischer Sprache. Sie zieht alle Register, um die Trostlosigkeit, Widerwärtigkeit, kurz: Unerträglichkeit der Welt zu betonen.

Glücklicherweise lässt der sprachliche Druck in der zweiten Hälfte des Romans etwas nach vielleicht tatsächlich, vielleicht aber auch nur gefühlt, weil man sich einfach eingewöhnt hat. Jedenfalls: Es kann sich dann etwas mehr konzentriert werden auf das, was normalerweise die Handlung oder gar ein Plot wäre. Hier ist es natürlich nur der (unter-)titelgebende Brainfuck, der Protagonist*innen. Sie wollen die Menschen über die Ungerechtigkeit der Gesellschaft aufklären. Darüber, dass sie alle manipuliert werden. Sie wollen sich aber auch an den manipulierten Erwachsenen rächen, die ihnen Schaden zugefügt haben. Und schließlich wollen sie die manipulative Welt aus den Angeln heben.

Der thematische Hintergrund des Romans ist eine aus dem Ruder gelaufene Überwachungsgesellschaft, in der Algorithmen und künstliche Intelligenzen zur totalen Kontrolle und Verdummung der Bevölkerung beitragen. Die Protagonist*innen selber verstehen, was geschieht, die Jungengang in der benachbarten Fabrikruine weiß, wie man Computer hackt. Getrennt und gemeinsam hacken sie große Pläne aus, die – das ist GRM ganz realistisch – natürlich zu keinem greifbaren Ergebnis führen.

Der Roman endet wie er begonnen hat: Hoffnungslos. Nicht nur, weil der geplante Systemumsturz ausbleibt, sondern mehr noch, weil sich Don und ihre Freund*innen irgendwie arrangieren und doch noch in der Gesellschaft ankommen, um dort ein mieses Leben unter der Kontrolle der maschinengestützten Obrigkeit führen zu dürfen. Es gibt inzwischen einen weiteren Band RCE, angelegt ist die Reihe sogar als Trilogie. Ob ich mir das antun kann? Ich weiß noch nicht.