In Afrikaans, der Sprache der Apartheid, gibt es zwei verschiedene Worte für weiß: »wit« für fast alles weiße und »blank« für weiße Haut. »blank« ist ein klassischer Apartheidsbegriff.
Bram Vermeulen war jahrelang Südafrika-Korrespondent für staatlichen niederländischen Rundfunk und für die rechtsliberale Tageszeitung NRC Handelsblad. In dieser Zeit berichtete er auch über den Amoklauf des weißen Südafrikaners Johan Nel in Skierlik, und dieses Thema wurde zu einem Katalysator, an dem sich Vermeulen von einem »witmens« in einen »blanke mens« verwandelte.
Eigentlich sollte die Unterscheidung in »weiß« und »schwarz« und auch in »wit« und »blank« im neuen, demokratischen Südafrika, in der »Rainbow nation«, die Apartheid und Rassismus überwunden hat, keine Rolle spielen. Leider aber gilt für Rassismus dasselbe wie z.B. für Nationalismus oder andere gesellschaftlichen Konstrukte: Die Erkenntnis, dass etwas ein Konstrukt ist, beinhaltet nur, dass etwas nicht durch Gott, die Gene, oder was-auch-immer unabänderlich gegeben ist. Sie beinhaltet, dass etwas menschengemacht und daher letztlich menschengewollt und auch durch Menschen veränderbar ist. Aber diese Veränderung bereitet viel Arbeit und dauert sehr lange. Die Erkenntnis allein beinhaltet nicht, dass das Konstrukt aus sich selbst zusammenbricht und verschwindet. Und so ist Rassismus in Südafrika auch nach dem Ende der Apartheid immer noch allgegenwärtig.
Rassistische Gewalt im Südafrika der Apartheid hatte vielerlei Formen und Folgen. Die Täter (ja, es waren fast immer Männer) waren meist »wit« bzw. »blank« und die Opfer schwarz oder farbig (auch das markiert in Südafrika einen feinen Unterschied). Das Ende der Apartheid brachte leider nicht das Ende rassistischer Gewalt, sondern ganz im Gegenteil eine Ausweitung: Zur weiterhin bestehenden Gewalt von weiß gegen schwarz gesellte sich als neue Form der brutale Überfall von schwarz auf weiß, häufig mit anschließendem grausamen Mord. Besonders betroffen sind Farmer*innen auf dem Land – einerseits, weil die einsamen Farmen häufig leicht angreifbar und Hilfe schwer zu bekommen ist, andererseits aber auch, weil Farmer*innen allgemein im Ruf stehen, ihre schwarzen Hilfsarbeiter*innen bis heute schlecht zu behandeln und brutal auszubeuten.
Johannes Nel ist Sohn weißer Farmer und selber wenigstens zweimal Opfer eines Überfalls durch Schwarze gewesen. Er wuchs auf inmitten des alltäglichen post-Apartheid Rassismus der lokalen weißen Gemeinschaft in Swartruggens. Eines Tages fuhr er mit Gewehr und einer großen Menge Munition in das schwarze Township Skierlik und begeht einen Amoklauf. Das war eine spektakuläre und unerwartete Tat. Die rohe und unspezifische Gewalt einfach nur auf Basis von Hautfarbe, hatte es so lange nicht gegeben.
Bram Vermeulen erfüllt seine Korrespondentenpflicht und berichtet vom Ort der Gewalt, später auch vom Gerichtsprozess. Er begibt sich auf die Suche nach den Hintergründen von Nels Tat und findet im wesentlichen nur Banalitäten heraus: Nel wuchs auf in einer rassistischen Umgebung. Er hatte schlimme Erfahrungen von schwarzer Gewalt gegen seine weiße Familie machen müssen, er hat aber auch Erfahrungen von alltäglicher weißer Gewalt gegen Schwarze gemacht. Er war verschlossen und konnte über seine Gefühle nicht sprechen, die Verhältnisse in seiner Familie begünstigten möglicherweise ein schwaches Selbstwertgefühl. All das ist so oder sehr ähnlich auch vielen anderen Weißen widerfahren, die trotzdem keine Amoktaten begingen. Was bei Nel anders war, was ihn zum einzigartigen Amoktäter machte – ob es vielleicht nur ein statistischer Zufall war –, hat Vermeulen letztlich nicht ermitteln können.
Reichlich wenig Material also für ein Buch, wären da nicht die Recherchen und vor allem die Selbstreflexionen, die Vermeulen im Laufe seiner Reportagen anstellt. Auch das niederländische Wörterbuch kennt die Vokabel »blank«, und die Bedeutung »nicht farbig« mit den Beispielen »blanke Haut, blanker Vla, blankes Holz« ist erst der dritte von vier Einträgen. Vermeulen war in den Niederlanden nicht »blank«, sondern bestenfalls »wit«, aber eigentlich vor allem »autochtoon«, also »einheimisch«. In Südafrika verändert sich das. Ob er will oder nicht: er findet sich wieder in einer Gesellschaft, in der »blank« eine relevante Kategorie dafür ist, wie andere ihn sehen. Er wird Opfer eines Überfalls und beinahe-Opfer eines potenziell brutalen Einbruchs – weil er »blank« ist. Er gewinnt das Vertrauen der Eltern und Anwälte von Nel, weil er »blank« und als Niederländer schon sprachlich eng mit der afrikaansen Bevölkerung verwandt ist. Es bleibt ihm aber bis zum Schluss der Zugang zu Nel selbst verwehrt, weil die Verantwortlichen im Gefängniswesen gerade in diesem Fall keine Extrawurst für einen »Blanken« gewähren können. Dafür ziehen ihn »blanke« Aktivisten wie z.B. der Aufrührer Eugene Terreblanche (nomen est omen) in ihr Vertrauen. Seine niederländische Herkunft befördert die Eingemeindung Vermeulens in die afrikaanse Community. Die im Schnelldurchlauf erfolgende Verwandlung in einen »blanken« beobachtet , reflektiert und dokumentiert der Autor selbstkritisch. Was er dabei sieht, gefällt ihm selber nicht, aber es ist ein bemerkenswertes Dokument, das Einsichten in Ursachen und Mechanismen »blanken« Denkens in Südafrika bietet.
Help, ik ben blank geworden ist in jedem Fall eine lohnende Lektüre für alle, die sich das Fühlen und Denken der weißen Südafrikaner*innen, speziell der weißen Afrikaaners, im Südafrika nach Ende der Apartheid interessieren.